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Ein Beitrag von Clemens Schneider im "Ökonomen Blog"
"Seit Jahren ein Dauerbrenner: das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Unternehmer wie der dm-Gründer Götz Werner machen sich dafür stark. Die finnische Regierung experimentiert damit herum. Und obwohl sogar Leute wie der liberale Ökonom Milton Friedman mit seinem Konzept der negativen Einkommensteuer (nicht ganz zu Recht) als Kronzeugen angerufen werden, ist es vor allem ein Projekt, das von linken Gruppierungen vorangetrieben wird. Umso verwunderlicher ist es, dass sie einen wesentlichen Punkt übersehen: Das BGE würde Zuwanderung deutlich erschweren."
www.insm-oekonomenblog.de/18397-bge-beton-fuer-die-grenzmauer
Verfasserin von "Das gemeinschaftliche Konsumsteuersystem", am 13.3.2018 auf Facebook:
"In einem der egomanen Spieltheorie der 50er Jahre frönenden Deutschland, in welchem du Deutschland bist und Geiz geil ist, während sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, findet der katholische Theologe Clemens #Schneider wohl an die Flüchtlingsdebatte der vergangenen Jahre anknüpfend die Antwort auf die Sorgen der Bevölkerung in einem möglichst flexiblen Sozialstaat. Diese Flexibilität sei der Ort, wo Schlupflöcher entstehen können. Die Starrheit und Rigidität eines bedingungslosen Grundeinkommens sei hingegen der Beton, der die Mauern (wohl: der Bevölkerung gegen Zuwanderung) noch verstärke.
Wie ist das zu verstehen? Welche Schlupflöcher meint und befürwortet der Theologe?
Schneider behauptet, der Sozialstaat sei insgesamt bereits ein großes Hindernis für Zuwanderer. Ein BGE würde diese Hürde noch deutlich erhöhen. „Wer für eine möglichst einfache Zuwanderung ist – ob aus ökonomischen oder moralischen Gründen –, sollte sich für einen möglichst flexiblen Sozialstaat einsetzen, der Sorgen der eigenen Bevölkerung entgegenkommen kann.“
Soll dies mit anderen Worten bedeuten: Ist der Unmut der Bevölkerung groß, um dessen Bekämpfung es dem Theologen primär geht, so kann der Sozialstaat flexibel einem Flüchtling z.B. die Leistungen streichen, wenn die Bevölkerung den Eindruck hat, es gehe an die eigenen Pfründe? Setzt sich Herr Schneider mit der Forderung nach Schlupflöchern für freie Zuwanderung ohne existenzsichernde Sozialleistungen ein? Ein bedingungsloses Grundeinkommen steht Zugewanderten nach Auffassung des Doktoranden offenbar nicht zu, da dies den Unmut der Bevölkerung gegenüber Zuwanderung schürt.
Doch woher kommt der Unmut der Bevölkerung? Sind es bei einem Bruttoinlandsprodukt von 3.263,35 Mrd. € im Jahr 2017 tatsächlich der bei einem bedingungslosen Grundeinkommen im Jahr 2015 errechnete Mehraufwand von 13,2 Mrd. €, der auf Flüchtlinge entfiele, wenn man denn die geltenden Regelungen wegen des BGE nicht mehr auf diese anwenden würde?
Die Bevölkerung fühlt sich mehr und mehr existenziell bedroht und hat Angst, lieber Herr Schneider. Denn ein BIP von 3.263,35 Mrd. € bedeutet bei rund 80 Mio. Einwohnern ein pro Kopf-BIP (einschließlich Kindern) von 40.791 € im Jahr 2017. Jedoch betrug das durchschnittliche Bruttoentgelt aller gesetzlich Versicherten lediglich 37.103 €. Nach einem Focus-Artikel vom 06.02.2017 verdiente die Mehrheit der in einem Vollzeitjob Beschäftigten im Jahr 2016 (durchschnittliches Bruttoentgelt: 36.267 €) monatlich zwischen 1.500 und 3.800 € brutto, also jährlich zwischen 18.000 € und 45.600 € brutto (Nettoverdienst als kinderloser Single: zwischen 13.239,20 € und 27.794,44 € jährlich bzw. zwischen 1.103,26 € und 2.316,20 € monatlich). Bereits für das Jahr 2014 gibt das statistische Bundesamt an, dass lediglich rund ein Drittel der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer monatlich mehr als damals durchschnittlich 3.441 € verdienen. Im Jahr 2015 waren lediglich 21,4 Millionen Menschen vollzeitbeschäftigt, Tendenz: abnehmend. Unter starkem Zuwachs hatten 3,4 Millionen eine Beschäftigung mit mindestens 20 Wochenstunden, während 4,8 Millionen weniger als 20 Stunden arbeiten. Hinzu kommen 7,8 Millionen Minijobber. Bereits zwei Drittel der Vollzeitbeschäftigten sind damit nicht in der Lage, jährlich einen vollen Rentenpunkt zu erwirtschaften. Die entsprechend flächendeckende Altersarmut ist damit vorprogrammiert.
Während bei insgesamt rund 45 Millionen Erwerbspersonen und rund 38 Millionen sozialversicherungspflichtig Tätigen zwei Drittel der nichtselbständig beschäftigten Bevölkerung Deutschlands unterdurchschnittlich verdient, steuern immer mehr Menschen durch das Zusammenspiel von Arbeitszwang, Leiharbeit und Mindestlohn auf die Armutsgrenze zu. Viele unterbrochene Lebensläufe und längere Lebenserwartung sowie geringe Geburtenrate sorgen für noch geringere Rentenansprüche aber hohen Pflegebedarf, die Digitalisierung und Automation wird in erheblichem Umfang Arbeitsplätze vernichten während zahlreiche an der Pfändungsfreigrenze dahinvegetierende Geschiedene ihre familiären Unterhaltsverpflichtungen nicht erfüllen können und zahlreiche Kinder Alleinerziehender in Armutsverhältnissen großwerden. Für all diese Probleme bietet das bedingungslose Grundeinkommen eine Lösung und die Existenzangst der Bevölkerung würde ebenso schwinden, wie der soziale Neid, der die Flüchtlingsdebatte schürt.
Ja, Deutschland ist nicht das Welt-Sozialamt. Diese Rechnung geht nicht auf, Herr Schneider. Es zahlt ja auch nicht die gesamte Weltbevölkerung bei uns ihre Steuern, damit wir sie dann verteilen können. Daher ist die Frage berechtigt, wer das bedingungslose Grundeinkommen erhalten soll. Es bietet sich an, die bestehenden Regelungen in einem geänderten Steuersystem mit bedingungslosem Grundeinkommen auf ihre Beständigkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls an sie anzuknüpfen. Dabei kommen die weltweit geltenden Bestimmungen des Einkommensteuersystems ebenso als Anknüpfungspunkt in Frage, wie die Regelungen des SGB II als sozialrechtliches Spiegelbild des Einkommensteuersystems. Die finanzielle Grundsicherung von Flüchtlingen stellt dabei ebenso wie die anderen ca. 240 Arten der Grundsicherung, die in Deutschland jeweils unter Erfüllung spezifischer Kriterien bei Bedürftigkeit gewährt werden, eine Besonderheit in Abweichung von der subsidiär anwendbaren Regel dar.
Es wird daher bei einer Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens zu diskutieren sein, ob man eher einem christlich-nächstenliebenden Ansatz folgt, jedem Flüchtling die Existenz durch ein ausreichendes BGE zu sichern und ihm die Möglichkeit zur Erwerbsarbeit zu geben, oder ihm wie heute lediglich ca. 85% des heutigen Existenzminimums ohne Kosten der Unterkunft auszuzahlen, während ihm zu Zeiten seines Anerkennungsverfahrens Erwerbsarbeit verboten oder je nach Status stark eingeschränkt ist. Genauso muss diskutiert werden, ob EU-Ausländer erst nach fünf Jahren gewöhnlichem Aufenthalt ein bedingungsloses Grundeinkommen beziehen sollen, und ob im Ausland lebende Deutsche Anrecht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen aus Deutschland haben.
Steuersystematisch ist es sinnvoll, diejenigen, die heute nach § 1 Einkommensteuergesetz in Verbindung mit §§ 8, 9 Abgabenordnung in Deutschland steuerpflichtig sind, am bedingungslosen Grundeinkommen partizipieren zu lassen, denn heute sind Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland steuerpflichtig und erhalten von ihrem Einkommen einen Grundbetrag zu ihrer Existenzsicherung von der Einkommensteuer freigestellt. Die Regelungen für beschränkt steuerpflichtige Personen müssen dann entsprechend überprüft und angeglichen oder je nach Sinnhaftigkeit abgeändert werden. Deutsche, die im Ausland leben, hätten dann jedoch kein Anrecht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen aus Deutschland.
Klar dürfte jedoch insgesamt sein, dass wir Flüchtlingen, denen wir auf der einen Seite verbieten zu arbeiten oder einem Inländer Arbeit wegzunehmen, auf der anderen Seite die Existenz durch Transferleistungen sichern müssen, denn sonst wäre das historisch begründete und ohnehin bereits extrem ausgehöhlte Recht auf Asyl aus Art. 16 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz ad absurdum geführt.
Bei all Ihrer Angst vor Unmut: Schlupflöcher wie diese sind als Antwort auf die von Ihnen gesehenen Sorgen der Bevölkerung nicht erwünscht, Herr Theologe. Ihr Beitrag erscheint mir insgesamt eher als Darstellung einer Starrheit und Rigidität gegenüber dem bedingungslosen Grundeinkommen bei gleichzeitigem Beton, der die Mauern gegenüber Flüchtlingen verstärkt. Wenn aber zwei Drittel der Bevölkerung sichere Pfründe haben, weil sie durch ein bedingungsloses Grundeinkommen von ihrer Existenzangst befreit wäre, kann ich mir gut vorstellen, dass sich ein „Gönnen-Können“ in der Bevölkerung einstellt und 4 Promille des Bruttoinlandsprodukts zugunsten eines bedingungslosen Grundeinkommens für Menschen, die aus Not ihre Heimat verlassen haben und zu uns geflüchtet sind, kein angst- und propagandaschürendes Thema mehr sind."